Fortsetzung der Technikkritik zu Veränderungen im ITF Taekwon-Do
ITF-Taekwon-Do wurde wie andere Kampfkünste als ein mehr oder weniger geschlossenes System in den 50iger Jahren entwickelt und hat sich so seit den 60iger Jahren weltweit durchgesetzt und etabliert.
Nach Gründung der WTF (heute WT) bzw. DTU in Deutschland in den 80iger Jahren entwickelte sich parallel ein neues, anderes TKD, das sogenannte WTF TKD. Das WTF TKD hat wie jedes andere System Eigenheiten und Widersprüche wie z.B. die häufigen ungebremsten tiefen Tritte knapp unter der Gürtellinie und das häufige Hinfallen des Angreifers bei den intensiven Aktionen sowie das Tänzeln und Armhinhalten bei kurzen Distanzen.
Auch im Karate System gibt es solche Widersprüchlichkeiten wie z.B. die Aufgabe des stabilen Standes bei dynamischen Angriffen bzw. das Wegrutschen des hinteren Fußes auf die Innenfußkante oder das betonte Zurückziehen nach einer Aktion, das manchmal dynamischer ist als der Stoß.
Hier geht es nun um ein bisher weitgehend einheitliches System, das ITF-TKD, das leider immer mehr aufgeweicht wird. Entgegen dem ersten Eindruck bin ich kein Kritiker des ITF Systems, sondern im Gegenteil versuche ich inzwischen das ITF System als solches zu erhalten und zu bewahren (gemeint ist hier der Stil des Begründers Choi Hong Hi unter dem Namen Chang Hun). Das Chang Hun TKD ist in mehreren Auflagen und Büchern des Generals immer besser dargestellt und ausformuliert worden. Auf zahllosen Lehrgängen in der ganzen Welt hat er es persönlich immer wieder präsentiert. Sicherlich gab es auch da schon unglückliche Entwicklungen und Fehlinterpretationen; das ist aber nicht zu vergleichen mit den heutigen Abwandlungen, für die es keine Autorität außer die der eigenen Organisation gibt.
Bei der Recherche zu der Neuauflage 2018 meines Buches „Moderner Kampfsport 1 – Taekwon-Do bis zum 1.Dan (Schwarzgurt)“ habe ich noch mal die Quellen durchgearbeitet und wesentliche Stellen zitiert sowie die Folgerungen daraus dargelegt. Anhand dieser Quellen lassen sich viele Entwicklungen und Veränderungen zu Recht in Frage stellen. Hinzu kommt dann noch die fehlende bzw. konstruierte Logik vieler Veränderungen. In Zweifelsfällen, wenn in den Quellen keine eindeutige Aussage getroffen ist, hilft es, die dem System ITF TKD innewohnende Logik bzw. den Bezug zur Sportwissenschaft (also nicht zu Überlieferungen oä.), der dort immer wieder herausgestellt wird, herzustellen. Neben den eindeutig in den Quellen ausformulierten Grundsätzen und Regeln kann man also auch Herleitungen heranziehen, die sich aus den Texten ergeben (die Fotos sind oft ungenau, manchmal widersprüchlich und nur als zusätzlicher Beleg nicht aber als Beweis geeignet).
Es gilt auf jeden Fall zu unterscheiden zwischen individuellen Eigenheiten und Fehlern eines Sportlers (was hier nicht gemeint ist) und von hochrangigen Repräsentanten gelehrten und vermittelten oder in Medien veröffentlichten Ausführungsweisen (um die es hier geht).
Ungeordnete ausgewählte Beurteilung von neuen Technikausführungen anhand der Quellen:
1. „Encyclopedia of Taekwon-Do“ Taekwon-Do The Korean Art of Self Defense Volume 1 – 15, by General Choi Hong Hi, Third Edition 1993 by International Taekwon-Do federation, Canada
2. „Taekwon-Do die Koreanische Kunst der Selbstverteidigung“, General Choio Hong Hi, erste deutsche Ausgabe 2003 ITF-Deutschland, Köln
Viele vermeintlichen Neuerungen sind gar nicht neu und wurden schon in früheren Veröffentlichungen lange vor dem Lexikon dargestellt. Andere aktuelle Veränderungen haben wieder neue Fragen und Probleme aufgeworfen, die zu weiteren Abwandlungen führten (man hat sich verzettelt).
- Die Wellenbewegung (Sine Wave) wird als natürliche Bewegung beschrieben, was nachvollziehbar ist, wie z.B. gehen in Gunnun Sogi (man knickt erst kurz und leicht ein, geht dann vorwärts und automatisch auch etwas hoch und „fällt“ mit der Technik wieder in die neue Fußstellung).
Im Stand ist die zu erzeugende Wellenbewegung auf keinen Fall natürlich. Hier muss man sich also zur Aufrechterhaltung des Wellenprinzips künstlich runter-hoch-runter bewegen (was einer vorwärts gerichteten Technik wenig Unterstützung gibt). Daraus kann nur folgen, daß dies sparsam ausgeführt und nicht übertrieben werden soll bzw. die Wellenbewegung im Stand zum reinen Selbstzweck wird.
- Bei den Bewegungen in den Fußstellungen (insbesondere in Gunnun Sogi) wird der Fuß neuerdings kurz vor dem Ende angehoben und mit Geräusch aufgesetzt. Dies wird noch gesteigert durch das neue sogenannte „Foot Snap“ (dabei wird auch der hintere Fuß kurz vollständig angehoben und ruckartig wieder aufgesetzt).
Das widerspricht der Aussage in den Quellen, wonach der Fuß 1 cm über dem Boden bewegt wird, sowie der Aussage, daß der Fuß nicht ohne besonderen Grund angehoben oder rangezogen werden soll (Legacy Band 4, Seite 202, „Stepping…Basic principles…“). Weiterhin ist es leicht mit einer stampfenden Bewegung zu verwechseln.
- Beim Yop Cha Jirugi in Tul soll gleichzeitig ein seitlicher hoher Fauststoß ausgeführt werden (Legacy Band 4 Seite 25 Ziffer 6), wobei bei vertikalen und seitlichen Fauststößen die Faust keine volle 180 Rotation machen muss (Legacy Band 3 Seite 29 Ziffer 8).
Diese Vorgabe und deren mögliche Begründung, einen Angreifer auf Distanz zu halten, wenn der Kick nicht trifft, ist schwer nachzuvollziehen, vor allem dann, wenn der Fauststoß bei einem hohen Tritt senkrecht hochgeht, damit der den Tritt nicht behindert (obere Stufe wäre eigene Augenhöhe).
- Zu jeder Technik gibt es eine vorgeschriebene Form der Atmung. Die Atmung soll „künstlich“ sein, damit der Gegner keine Zeichen von Erschöpfung erkennt. Dies führt häufig zu unnatürlichen Atemgeräuschen und Buchstabenfolgen (pft), die oben im Rachen oder sogar nur mit den Lippen erzeugt werden, und manchmal sogar Pfeiftöne hervorbringen.
Das kann so nicht gewollt gewesen sein und ist eventuell ein Übersetzungsfehler bzw. eine interpretierende Übersetzung. Dies würde die generell im Budo praktizierte und anerkannte Zwerchfellatmung mindestens behindern. Man kann das auch so verstehen, daß es eine genormte Atmung gibt, die sich immer grundsätzlich gleich anhört und so den Zweck erfüllt, schnelle, fortlaufende und verbundene Bewegung zu unterscheiden sowie Erschöpfung zu verbergen. Hierauf wird an anderer Stelle ausführlicher eingegangen.
- Der Begriff des „knee spring“ im Zusammenhang mit der Wellenbewegung wird bei Handtechniken und oft auch nach Fußtechniken als federnde bzw. wippende Bewegung auf der Stelle interpretiert und auch mit der Entspannung verwechselt. Noch weiter geht eine Bewegungsinterpretation, nach der „knee spring“ der Auftakt zu einer dadurch stark beschleunigten Bewegung (in Form „dip“) ist, bei der man sich das tatsächlich wie eine gespannte bzw. nachgebende und dann beschleunigende Feder vorstellt.
Die Wellenbewegung hat ihren Höhepunkt erst nach dem halbe Schritt und widerspricht deswegen dem federnden Wippen am Anfang und/oder in der Mitte des Schrittes. Die grafische Darstellung der langgezogenen weichen Sinuswelle wurde leider auch verändert zu einer TKD-Welle, die höher und kürzer ist und so ein Wippen rechtfertigen könnte.
- Der Körper macht die Bewegung der Arme nicht mit und/oder der Kopf bleibt beim Ausholen weiter geradeaus.
In Band 1 der Legacy wird auf Seite 80 auf die sogenannten 8 Trainings“geheimnisse“ eingegangen (3. To bring the movements of eyes, hands, feet an breath into a coordinated action).
Das bedeutet, daß sich der Körper (auch der Kopf) beim Ausholen in der Längsachse mitbewegt (wobei die Augen das Ziel im Blick behalten und nicht zur eigenen Ausholbewegung gehen).
Ein weiterer Beleg hierfür findet sich in Band 3 der Legacy auf S. 16 unter Handtechniken „common principles“ (1.Turn the hip and abdomen in the same direction as the attacking or blocking tool does throughout the motion). Das heißt der Körper geht auch beim Ausholen mit.
- Die Entspannung führt zu einer weiteren Extrabewegung, bei der die Hände vor den Körper geführt und ganz kurz (inne)gehalten werden (auch oft beim Ranziehen-Rübergehen) bzw. die Arme/Hände machen die Wellenbewegung mit.
Man sollte sich bewußt machen, daß dies zu einer weiteren „Extrabewegung“ bzw. einem „Umweg“ führt zusätzlich zur schon vorhandenen Entspannung, Ausholbewegung, Ausführung und Arretierung. Ohne, daß es ausdrücklich ausformuliert ist, war es bisher so, daß man von der Arretierung der vorigen Bewegung kurz entspannt und dann direkt in die nächste Ausholbewegung geht.
…wird fortgesetzt…
Wilfried Peters, 7.Dan